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Experteninterview zur Ausbreitung des West-Nil-Virus in Deutschland - Teil 1

Teil 1: das West-Nil-Virus in der Humanmedizin

Das West-Nil-Virus (WNV) gehört zu den Flaviviren und ist eine in verschiedenen Regionen der Welt vorkommende Zoonose.  Übertragen wird das Virus durch verschiedenen Stechmückenarten. Gebiete mit hohem West-Nil-Virus-Vorkommen liegen vor allem in tropischen und subtropischen Gebieten. Aber auch in Deutschland wurden nun die ersten Fälle einer West-Nil-Virus-Infektion beim Menschen gemeldet. Der Humanmediziner Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit erforscht mit seiner Arbeitsgruppe am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg verschiedene durch Stechmücken übertragenen Viren, sogenannte Arboviren, zu denen auch das West-Nil-Virus gehört.

 

ZOOP: Der Name „West-Nil-Virus“ klingt etwas exotisch und nicht unbedingt wie etwas, was man in Deutschland erwarten würde. Woher stammt das West-Nil-Virus?

Schmidt-Chanasit: Erstmals entdeckt wurde das Virus 1937 bei einer fiebrigen Patientin im West-Nile-District von Uganda. Die Frau wurde auf Gelbfieber-Verdacht hin untersucht und dabei konnte das Virus entdeckt werden. In den folgenden Jahren erhielt das West-Nil-Virus eher wenig Aufmerksamkeit.  Als dann die ersten Fälle aus den USA gemeldet wurden und das Virus sich im weiteren Verlauf bis nach Europa ausbreitete, nahm das Bewusstsein und das Interesse für das Virus zu.

ZOOP: Wann traten die ersten Infektionen beim Menschen in Deutschland auf?

Schmidt-Chanasit: Der erste gemeldete Fall in Deutschland trat 2018 in München auf. Allerdings handelte es sich hierbei um einen Laborunfall und ist nicht auf eine natürliche Infektion zurückzuführen. Die erste natürliche Infektion mit dem Virus in Deutschland wurde Mitte September in Leipzig gemeldet. Hierbei handelte es sich um eine Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf, die neuroinvasive Form, die nur selten auftritt.

ZOOP: Was sind denn die gängigen Symptome einer West-Nil-Virus-Infektion beim Menschen?

Schmidt-Chanasit: Die Mehrzahl der Infektionen mit West-Nil-Virus beim Menschen verlaufen asymptomatisch. Nur ca. 20 % Prozent der Betroffenen entwickeln eine klinische Symptomatik, die man als West-Nil-Fieber bezeichnet. In den meisten Fällen sind dies grippeähnliche, fieberhafte Symptome. Nur bei ca. 1% der Infizierten beobachten wir einen schweren Krankheitsverlauf. Dieser wird als „neuroinvasive Form“ bezeichnet und betrifft in der Regel ältere oder vorerkrankte Patienten.

ZOOP: Kamen die ersten Infektionen beim Menschen in Deutschland gänzlich überraschend oder hat man damit gerechnet?

Schmidt-Chanasit: Überrascht haben uns die ersten Infektionsfälle beim Menschen in Deutschland nicht. Aus Nachbarländern war ja bereits bekannt, dass das Virus in Europa zirkuliert und es gab keine Gründe anzunehmen, dass sich das Virus nicht auch in Deutschland ausbreiten könnte. Wir haben also früher oder später damit gerechnet.

Überrascht hat uns allerdings, die Anzahl an schweren Krankheitsverläufen, die wir in der Regel nur bei einem geringen Teil der tatsächlich Infizierten beobachten.

ZOOP: Es ist also davon auszugehen, dass die Patienten mit Symptomen nur einen Bruchteil der mit West-Nil-Virus infizierten Menschen in Deutschland ausmachen? Wie hoch werden die Infektionszahlen in Deutschland eingeschätzt?

Schmidt-Chanasit: Ja, wir gehen davon aus, dass eine Infektion in den meisten Fällen asymptomatisch verläuft. Wir müssen also annehmen, dass die diagnostizierten Fälle mit schwereren Krankheitsverlauf nur die Spitze des Eisbergs sind. Demzufolge haben sich bereits hunderte Menschen in Deutschland infiziert, wobei dies bei den meisten Menschen keine Symptome hervorrufen wird.

ZOOP: Was für eine Rolle wird das West-Nil-Virus in Deutschland zukünftig spielen?

Schmidt-Chanasit: Für die nächsten Jahre müssen wir davon ausgehen, dass das Virus nicht einfach wieder aus Deutschland verschwindet. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Ausbreitung eher noch zunehmen wird. Bisher wurden die gemeldeten Fälle eher in Regionen mit vergleichsweise dünner Besiedlung erfasst. Bei einer Ausbreitung in Ballungsräumen, wie zum Beispiel Frankfurt am Main, könnten die Fallzahlen noch einmal sprunghaft ansteigen.

Allerdings werden die Entwicklungen auch stark von den klimatischen Bedingungen im Land abhängen. Ein weiterer milder Winter wie 2018/19 wird die Ausbreitung des Virus eher begünstigen, da warme Temperatuten die Überwinterung und Übertragung erleichtern. Auch sehr warme Temperaturen im Sommer sprechen eher für eine weitere Ausbreitung des Virus in Deutschland.

ZOOP: Wie gut sind wir in Deutschland auf das Virus vorbereitet? Wie sind die zur Verfügung stehenden Methoden einzuschätzen?

Schmidt-Chanasit: Deutschland verfügt über eine gut etablierte Diagnostik in den entsprechenden Referenzlaboren. Die Serologie ist ein wenig komplexer. Die notwendigen PCRs (=polymerase chain reaction ) sind aber bereits in einigen Routine-Laboren etabliert. Positiv anzumerken ist zudem, dass wir in Deutschland Surveillance-Programme auf den Weg gebracht haben, die ein wertvolles Frühwarnsystem darstellen. Für die Zukunft sollte man meiner Meinung nach eine Verstetigung dieser Maßnahmen anvisieren, da diese einen wertvollen Beitrag zum Gesundheitsschutz in Deutschland beisteuern können.

ZOOP: Gibt es eine routinemäßige Diagnostik für West-Nil-Virus in Deutschland bei Blutspenden?

Schmidt-Chanasit: Ja, das ist in Deutschland gesetzlich gut geregelt. Durch die Meldung der ersten Fälle müssen Blutspenden in Deutschland auf West-Nil-Virus getestet werden. Damit schließt man eine Infektion über Blutspenden aus.

ZOOP: Es ist erfreulich, dass bereits einige Kapazitäten zur Bekämpfung des West-Nil-Virus` in Deutschland aufgebaut werden konnten. Inwieweit sind praktizierende Ärzte bzw. die Gesundheitsämter auf das Auftreten des Virus vorbereitet?

Schmidt-Chanasit: Das ist ehrlich gesagt sehr unterschiedlich. Einige Diagnosen sind auf aufmerksame Hausärzte zurückzuführen, die das West-Nil-Virus als potentielle Erkrankungsursache bei ihren Patienten erkannt haben und die entsprechenden Proben eingeschickt haben. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Ärzte in Krankenhäusern und Arztpraxen, die nur wenig Kenntnisse über das Virus haben. An dieser Stelle sind Fortbildungen und eine enge Zusammenarbeit von Referenzzentren und öffentlichem Gesundheitsdienst wichtig, um die notwendige Aufklärungsarbeit leisten zu können. Formate wie die ÖGD-Workshops der Zoonosenplattform können an dieser Stelle hilfreich sein.

ZOOP: Gibt es einen Impfstoff? Wie kann man sich vor einer Infektion schützen?

Schmidt-Chanasit: Nein, einen Impfstoff für Menschen gibt es noch nicht. Am effektivsten kann man sich momentan schützen, indem man sich vor den Überträgern, also den Stechmücken, schützt. Hierbei sind gängige Mückenschutz-Maßnahmen zu nennen, wie Netze, längere Kleidung oder eventuell auch Sprays. Zudem sollte man in seinem Garten oder auf dem Balkon Wasseransammlungen z.B. in Eimern vermeiden. Denn hier können Mücken ihre Eier ablegen.

ZOOP: Herr Schmidt-Chanasit, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Interview: Dr. Dana Thal für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen (ZOOP)

 

Im zweiten Teil unserer Experteninterviewreihe zum Thema West-Nil-Virus in Deutschland beantwortet Dr. Ute Ziegler, Fachtierärztin für Virologie und Leiterin des Nationalen Referenzlabors für West-Nil-Virus am Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger am Friedrich-Loeffler-Institut, Fragen zum Gefahrenpotential des Virus für Tiere. Im dritten Teil erörtert PD Dr. Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler Institut  die Rolle der Stechmücken bei der West-Nil-Virus Verbreitung. Welche Mückenarten sind hier wichtig? Könnte man sie bekämpfen? Gibt es weitere Überträger? Wie geht es mit dem West-Nil-Virus weiter? Diese und weitere Fragen beantwortet unser Experte für sie in Teil 3 der Interviewreihe.

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