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Workshop „Massenspektrometrie in der Zoonosenforschung" 2012

Glykolipide als Schlüsselmoleküle

Da eine Vielzahl von viralen und bakteriellen Zoonosenerregern und die von ihnen produzierten Virulenzfaktoren (Toxine) an Glykokonjugate der Zelloberfläche ihrer Targetzellen binden, wurden in diesem Kurs schwerpunktmäßig Glykolipide als potentielle Rezeptormoleküle behandelt. Diese bestehen aus einem doppelschwänzigen Lipidanker, dem sog. Ceramid (Sphingosin plus Fettsäure), und einem Oligosaccharidteil, der durch eine hohe Variabilität durch die unterschiedliche Anzahl und Verknüpfungsart der Zucker gekennzeichnet ist. Glykolipide befinden sich in der äußeren Schicht der Plasmamembran menschlicher und tierischer Zellen. Demzufolge spielen Glykolipide eine wichtige Rolle als Rezeptoren für Zoonosenerreger und deren Virulenzfaktoren.
Der Workshop gliederte sich in 2 Abschnitte: Vermittlung der theoretischen Grundlagen am ersten Tag und Durchführung massenspektrometrischer Experimente in Kleingruppen am zweiten Tag.

Vermittlung der theoretischen Grundlagen

Theoretische Besprechung


Das für diesen Kurs erforderliche theoretische Basiswissen zur Massenspektrometrie wurde in Form von 8 Vorträgen vermittelt. Zunächst wurden in einem Übersichtsvortrag die Strukturen und Rezeptorfunktionen von Glykolipiden, insbesondere unter zoonotischen Aspekten, vorgestellt (Johannes Müthing). Weiterhin wurden die analytischen Basistechniken für die anschließenden massenspektrometrischen Experimente erläutert, wobei der Einsatz der Dünnschichtchromatographie (DC), gekoppelt mit immunchemischen Nachweistechniken, ausführlich beschrieben wurde. Es folgten zwei Vorträge, in denen die Grundlagen der Matrix-unterstützten Laserdesorptions-/Ionisations-Massenspektrometrie (MALDI-MS) (Klaus Dreisewerd) und der Elektrospray Ionisierungs-Massenspektrometrie (ESI-MS) (Michael Mormann) vermittelt wurden. Abgerundet wurden die Vorträge zu den beiden fundamentalen Laser- und Elektrospray-Ionisierungsprozessen mit einer Präsentation der Grundprinzipien der Massenanalyse und der generellen Funktionsweise von Massenanalysatoren (Michael Mormann). Anschließend wurden in zwei Vorträgen ausgewählte Anwendungen der ESI-MS vorgestellt, wobei exemplarisch die massenspektrometrische Charakterisierung von Shiga Toxin-Rezeptoren (Iris Meisen) und Influenza Virus-Rezeptoren (Gottfried Pohlentz) mittels Tandem-MS erläutert wurden. 
MALDI-MS mit viel Potential in der Zoonosenforschung
Abgeschlossen wurde das Lipidthema mit einem Vortrag zu verschiedenen Anwendungen der MALDI-MS, in dem das außerordentliche Potential der Massenspektrometrie zur Strukturaufklärung nicht nur von Glykolipiden, sondern von bioaktiven Lipiden unterschiedlichster Art aufgezeigt wurde (Klaus Dreisewerd). Die Darstellung der MALDI-MS als „neue“ Methode zur Speziesidentifikation von Bakterien verdeutlichte eindrucksvoll die rasante Entwicklung MS-basierter Techniken als die Zukunftstechnologien für zahlreiche Anwendungen (Alexander Mellmann). So haben MALDI-MS-Verfahren bereits weitgehend die „klassischen“ Typisierungsverfahren von Krankheitserregern verdrängt und Einzug in die mikrobiologische Routinediagnostik gehalten. Massenspektrometrische Technologien werden daher zukünftig auch für die Identifizierung von Zoonosenerregern an Bedeutung gewinnen.

Literatur:
Distler U, Hülsewig M, Souady J, Dreisewerd K, Haier J, Senninger N, Friedrich AW, Karch H, Hillenkamp F, Berkenkamp S, Peter-Katalinić J and Müthing J (2008) Matching IR-MALDI-o-TOF mass spectrometry with the TLC overlay binding assay and its clinical application for tracing tumor-associated glycosphingolipids in hepatocellular and pancreatic cancer. Anal Chem 80, 1835-1846.
Dreisewerd K, Müthing J, Rohlfing A, Meisen I, Vukelić Ž, Peter-Katalinić J, Hillenkamp F and Berkenkamp S (2005) Analysis of gangliosides directly from thin-layer chromatography plates by infrared matrix-assisted laser desorption/ionization orthogonal-time-of-flight mass spectrometry. Anal Chem 77, 4098-4107. 
Meisen I, Dzudzek T, Ehrhardt C, Ludwig S, Mormann M, Lümen R, Kniep B, Karch H and Müthing J (2012) The human H3N2 influenza A viruses A/Victoria/3/75 and A/Hiroshima/52/2005 preferentially bind to α2,3-sialylated monosialogangliosides with fucosylated poly-N-acetyllactosaminyl chains. Glycobiology 22, 1055-1076.
Meisen I, Mormann M and Müthing J (2011) Thin-layer chromatography, overlay technique and mass spectrometry: a versatile triad advancing glycosphingolipidomics. Biochim Biophys Acta 1811, 875-896.
Mellmann A and Müthing J. MALDI-TOF mass spectrometry-based microbial identification. In: Advanced Techniques in Diagnostic Microbiology, YW Tang and CW Stratto (eds.), Springer Science+Business Media New York 2012, DOI 10.1007/978-1-4614-3970-7_10.
Müsken A, Souady J, Dreisewerd K, Zhang W, Distler U, Peter-Katalinić J, Miller-Podraza H, Karch H and Müthing J (2010) Application of thin-layer chromatography/infrared matrix-assisted laser desorption/ionization orthogonal time-of-flight mass spectrometry to structural analysis of bacteria-binding glycosphingolipids selected by affinity detection. Rapid Commun Mass Spectrom 24, 1032-1038.
Müthing J and Distler U (2010) Advances on the compositional analysis of glycosphingolipids combining thin-layer chromatography with mass spectrometry. Mass Spectrom Rev 29, 425-479.
Müthing J, Meisen I, Zhang W, Bielaszewska M, Mormann M, Bauerfeind R, Schmidt MA, Friedrich AW and Karch H (2012). Promiscuous Shiga toxin 2e and its intimate relationship to Forssman. Glycobiology 22, 849-862.

 

Umsetzung des erlernten Wissens in die Praxis
 

Von den Teilnehmer*innen wurden in Kleingruppen zunächst vorbereitende Arbeiten für die anschließenden MS-Untersuchungen von Glykolipiden durchgeführt. Dazu wurde eine Referenz-Glykolipidmischung aus humanen Erythrozyten, die die Rezeptoren für die von enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) produzierten Shiga Toxine enthielt, mittels Dünnschichtchromatographie (DC) aufgetrennt. Die Glykolipide Globotriaosylceramid (Gb3Cer) und Globotetraosylceramid (Gb4Cer), die die Rezeptoren für Shiga Toxine darstellen, wurden immunchemisch auf der DC-Platte nachgewiesen. Anschließend wurden DC-Streifen für die massenspektrometrischen Rezeptorcharakterisierungen mittels MALDI- und ESI-MS präpariert und die erhaltenen Spektren ausgewertet. 
 

Laborarbeitsbesprechung


Nach Trennung der Glykolipidmischung wurden die individuellen Glykolipide zunächst mit dem zuckerspezifischen Reagenz Orcinol detektiert (Kontrollexperiment). Als immunologisches Nachweisverfahren diente der DC Overlay-Assay, der dem Prinzip des ELISA-Testverfahrens entspricht. Der Nachweis der Shiga Toxin-Rezeptoren erfolgte mit Hilfe spezifischer Anti-Gb3Cer- und Anti-Gb4Cer-Antikörper. Die Antikörper-Bindung wurde mit dem Substrat 5-Brom-4-Chlor-3'-Indolyphosphat nachgewiesen. Für die anschließende direkte Kopplung des DC Overlay-Assays mit der MALDI-MS wurde die DC-Platte mit einem Glasschneider auf Targetgröße zugeschnitten, während für die indirekte Kopplung mit der ESI-MS das Kieselgel der immungefärbten Glykolipide abgekratzt wurde und die Glykolipide anschließend mit organischen Lösungsmitteln aus dem Kieselgel extrahiert wurden. Die immunpositiven Glykolipid-Banden des für das MALDI-Target passend zugeschnittenen DC-Streifens wurden mit Glyzerin (Matrix) benetzt. Der so vorbehandelte Streifen wurde dann in das MALDI-Massenspektrometer eingeschleust, bei dem es sich um einen modifizierten Prototyp eines orthogonal extrahierenden Massenspektrometers handelte, der mit einem Flugzeitmassenanalysator (Time-of-Flight (ToF)-Analysator) ausgestattet ist. In der Ionenquelle wurde nun die Glykolipid-Bande mit Nanosekunden-kurzen Laserpulsen bei einer Wellenlänge von 2,94 µm beschossen. Während des explosionsartigen Materialabtrags wurden die in der Bande befindlichen Glykolipidmoleküle desorbiert und in Teilen ionisiert. Basierend auf den unterschiedlichen Flugzeiten der gebildeten Ionen wurden in dem Flugzeitanalysator die Masse-zu-Ladungsverhältnisse (m/z) der Ionen bestimmt. Da die Glykolipide bei der „sanften“ Ionisierung mittels MALDI intakt bleiben, konnten über die m/z-Messwerte Strukturvorschläge für die detektierten Glykolipid-Spezies gemacht werden. Dazu gehörten zum Beispiel die Bestimmung der Fettsäure (C16 bis C24) und die Ermittlung des Oligosaccharidtyps (Trisaccharid im Falle von Gb3Cer und Tetrasaccharid am Beispiel von Gb4Cer). Im Verlauf des Workshops waren die Teilnehmer/innen nach kurzer Einweisung in der Lage, das Gerät selber zu bedienen und Massenspektren aufzuzeichnen. Diese wurden im Anschluss beispielhaft ausgewertet.
 

Das Synapt- G2S Massenspektrometer


In einem zweiten Experiment wurden die aus dem Kieselgel extrahierten Glykolipide mittels ESI-MS genauer analysiert. Dazu wurden die Extrakte in Methanol mit 1% Ameisensäure aufgenommen und die gelösten Glykolipide auf eine Konzentration von 20 pmol/µl eingestellt. Es wurden von den Teilnehmer/innen zunächst analog zu den MALDI-Messungen Übersichtsspektren aufgenommen und anschließend die Signale den ionisierten Molekülen der detektierten Glykolipid-Spezies zugeordnet. Für die Durchführung des Tandem-MS-Fragmentierungsexperiments mittels „Collision-induced dissociation“ (CID), wodurch eine exakte Strukturaufklärung ermöglicht wird, wurden beispielhaft die Vorläuferionen mit einem m/z-Wert von 1361.92 selektiert und die dazugehörige Struktur von Gb4Cer (d18:1/C24:0) ermittelt. Die Variabilität der Fragmentierungseffizienz, die für eine eindeutige Strukturbestimmung von Bedeutung ist, konnte durch Veränderung der Kollisionsenergie demonstriert werden. Abschließend erfolgten Erläuterungen zu den Fragmentation-Signalen durch die Betreuer/innen und Erklärungen zur Ableitung der exakten Strukturen aus den detektierten B-, Y- und W’’-Fragmentationen.

Schlussbemerkung und Ausblick

Das Workshop-Konzept, bestehend aus Theorie (Vorträge) und Praxis (Experimente in Kleingruppen), wurde von den Teilnehmer*innen gut angenommen und das Engagement aller beteiligten Betreuer*innen gewürdigt. Zwischen den Teilnehmer*innen und den Organisatoren entwickelten sich während des zweitägigen Workshops angeregte Diskussionen; erste Kooperationen mit der MS-Gruppe in Münster wurden initiiert. Die Einbeziehung weiterer Mitglieder der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen in ein zukünftiges Querschnittsprojekt wurde in einer abendlichen Gesprächsrunde bei traditioneller westfälischer Küche intensiv diskutiert.
Der Workshop wurde fotografisch von Ivan Kouzel dokumentiert, dem an dieser Stelle für die Aufnahmen gedankt sei.
 

Gruppenfoto der Workshop-Teilnehmer

 

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