Das zoonotische Bakterium Listeria monocytogenes verfügt über Eigenschaften, die eine Nachverfolgung von Ausbruchsgeschehen zu einer Herausforderung machen. In dem Querschnittsprojekt MolTypList wurde daher der Frage nachgegangen, wie man die Risikobewertung und Bekämpfung der Listeriose in Deutschland durch molekulare Methoden verbessern kann – mit großem Erfolg. Über den Erreger, seine Besonderheiten und die Ergebnisse des interdisziplinären Querschnittsprojektes sprach die Zoonosenplattform mit Dr. Stefanie Lüth, die 2017 als Doktorandin auf dem Projekt begonnen hat und mittlerweile als stellvertretende Leiterin des Nationalen Referenzlabors (NRL) für Listeria monocytogenes am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf ihrer erfolgreichen Projektarbeit aufbauen kann.
Frau Dr. Lüth, Sie haben Ihre Doktorarbeit im Rahmen des Querschnittprojektes MolTypList geschrieben. Im Fokus dieses Projektes steht das Bakterium Listeria monocytogenes. Was ist das für ein Erreger?
Listeria monocytogenes ist ein grampositives, stäbchenförmiges Bakterium. Es ist das einzige bekannte Bakterium der Gattung Listeria, welches humanpathogen ist, also Erkrankungen beim Menschen verursachen kann. Die durch den Erreger verursachte Erkrankung bezeichnet man als Listeriose.
Gefahr für Mensch und Tier
Wie können sich Menschen mit dem Erreger infizieren?
Der Erreger findet sich überall in der Umwelt. Eine Infektion erfolgt fast ausschließlich über Lebensmittel, entweder direkt über rohe tierische oder pflanzliche Lebensmittel oder über kreuzkontaminierte Produkte, die auf verschiedenen Stufen der Gewinnung oder der Verarbeitung verunreinigt wurden. Dementsprechend findet sich der Erreger auf einer riesigen Auswahl an Lebensmitteln – vom Hackfleisch bis zum geschnittenen Salat. Besonders gefährlich ist die Kontamination verzehrfertiger Produkte, die vor dem Essen nicht mehr erhitzt werden.
Wie gefährlich ist eine Infektion für den Menschen?
Gesunde Personen erkranken bei Infektionen mit Listeria monocytogenes zum Glück in der Regel nicht oder zeigen nur leichte Symptome. Allerdings gibt es einige Personen, die besonders gefährdet sind. Diese Risikogruppe umfasst Schwangere und Neugeborene, ältere Menschen und Personen mit einem geschwächten Immunsystem. Bei diesen Menschen kann die Listeriose zu sehr schweren, teilweise tödlichen Krankheitsverläufen mit Blutvergiftung und Gehirn- oder Hirnhautentzündung führen. Bei Schwangeren kann die Infektion Fehl- oder Totgeburten verursachen. In absoluten Zahlen ist die Listeriose relativ selten, aber sie ist mit einer hohen Sterblichkeitsrate verbunden. (Anmerkung: Laut SURV.STAT 2.0 des RKIs wurden 2018 - 2020 ca. 600 bis 700 Listeriosefälle bei Menschen pro Jahr in Deutschland gemeldet.)
Welche Bedeutung hat der Erreger in der Veterinärmedizin?
Tiere sind unterschiedlich von dem Erreger betroffen. Bei Schafen und Rindern kann es wie beim Menschen zu schweren Symptomen kommen. Ein besonders großes Infektionsrisiko geht hierbei von der Aufnahme kontaminierter Silage aus. Bei Schweinen und Vögeln verläuft eine Infektion mit Listeria monocytogenes eher asymptomatisch.
Listeria monocytogenes scheint also auf jeden Fall ein Erreger zu sein, den wir in der Human- und in der Veterinärmedizin im Auge behalten sollten. Im Querschnittsprojekt hatten Sie und ihre Projektpartner*innen sich zur Aufgabe gemacht, molekulare Methoden zu entwickeln um die Risikobewertung und Bekämpfung der Listeriose in Deutschland zu verbessern. Warum war das notwendig?
Listerioseausbrüche bestehen oft aus vereinzelten Fällen, die über mehrere Jahre auftreten. Das macht es schwer, Ausbrüche überhaupt als solche zu erkennen. Zudem kommt eine riesige Auswahl von Lebensmitteln als Infektionsquelle in Frage. Der Erreger ist relativ unempfindlich gegenüber Salz, Säure und Kälte und kann so beispielsweise auch in konservierten, gefrorenen oder gut gekühlten, verzehrfertigen Lebensmitteln überleben. Und zu guter Letzt ist auch die Inkubationszeit der Listeriose relativ lang. Von der Infektion bis zum Krankheitsausbruch kann also einige Zeit vergehen, in schwangerschaftsassoziierten Fällen bis zu zwei Monate. Dementsprechend ist es sehr schwierig, im Nachhinein eine Verbindung zwischen den einzelnen Fällen eines Ausbruchs herzustellen und die Infektionsquelle auszumachen.
Das Genom des Erregers als Schlüssel
Im MolTypList Projekt haben Sie sich daher entschlossen das Whole Genome Sequencing (WGS) als Methode zu verwenden. Warum haben Sie diesen molekularen Ansatz gewählt?
Zu Beginn unseres Projektes galt die Puls-Feld-Gelelektrophorese (PFGE) noch als Goldstandard für die Charakterisierung von Listeria monocytogenes Isolaten. Diese Methode erlaubt eine grobe Unterteilung verschiedener Isolate, jedoch nur auf Basis von Schnittmustern des bakteriellen Chromosoms. Unterscheiden sich Isolate außerhalb einer enzymatischen Schnittstelle, können sie mittels PFGE nicht voneinander unterschieden werden. Bei der WGS schaut man sich das komplette Genom des Bakteriums an und kann daher sehr viel feinere Unterteilungen vornehmen.
Die WGS hat also die Typisierung von Erregerisolaten und damit die Aufklärung von Listerioseausbrüchen verbessert?
Ja, die WGS war definitiv der Durchbruch. Mit unserer neuen Methodik konnten wir verschiedene Fälle in Verbindung bringen und teilweise seit mehreren Jahren andauernde Ausbruchsgeschehen aufklären und beenden. Mittlerweile haben wir eine große Datenbank mit Genomen von Lebensmittelisolaten bzw. Isolaten aus lebensmittelherstellenden Betrieben, die auch in Zukunft für Vergleichsanalysen herangezogen werden kann.
Infokasten MolTypList Die Listeriose ist weltweit eine der wichtigsten bakteriellen Zoonosen. Das Querschnittsprojekt „Molekulare Typisierung von Listeria monocytogenes in Lebensmitteln als Grundlage für eine effiziente Risikobewertung und Bekämpfung der Listeriose in Deutschland“ (MolTypList) beschäftigte sich mit der Etablierung eines flächendeckenden molekularen Tracings des Erregers in Deutschland. Das Querschnittprojekt mit einer Laufzeit von 2 Jahren (01/2017-12/2018, kostenfreie Fristverlängerung bis 12/2019) wurde über die Zoonosenplattform zur Förderung empfohlen und durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG, Förderkennzeichen: GE20160326) finanziert. Insgesamt umfasst das Projekt drei Arbeitspaketen (AP): Molekulare Typisierung und Datenauswertung (AP1), Epidemiologie, Modellierung und Source Attribution (AP2) und Validierung und Interpretation, Erstellen von Standards (AP3). Koordiniert wurde das Projekt von Prof. Sascha Al Dahouk am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Als weitere Projektpartner waren die Freie Universität Berlin und das Robert Koch-Institut mit an Bord. Weitere Informationen |
Etablierung eines neuen Goldstandards
Konnten Sie mit der WGS einen neuen Goldstandard für die Charakterisierung von Listeria monocytogenes-Isolaten etablieren?
Ja, seit 2018 ist dies die Standardmethode zur Ausbruchsaufklärung in Deutschland, und auch auf europäischer Ebene beobachten wir einen Trend hin zur WGS. Natürlich profitieren wir hier auch von der rasanten Entwicklung im Bereich der WGS in den vergangenen Jahren, sowohl im Labor als auch in der Datenanalyse. Bei uns im NRL ist die Methodik mittlerweile etabliert und viele Arbeitsschritte können automatisiert ablaufen.
Die richtige Karriereentscheidung
Was hat Sie damals an diesem Projekt gereizt und Sie dazu gebracht ihre Doktorarbeit diesem Thema zu widmen?
Zum einen fand ich die Sequenzierungstechnik sehr spannend und wollte mich gerne intensiver damit beschäftigen. Besonders reizvoll fand ich zudem den großen Praxisbezug des Projekts. Die Aussicht darauf, dass unsere Projektergebnisse einen direkten Einfluss auf die Gesundheit von Menschen haben können, hat mich von Anfang an begeistert.
Würden Sie rückblickend sagen, dass es die richtige Entscheidung war, dieses Projekt für Ihre Promotion zu wählen?
Absolut. Es war das richtige Thema zur richtigen Zeit. Durch unsere tollen Erfolge im Projekt waren unsere Ergebnisse natürlich auch sehr nachgefragt. Wir haben viele Einladungen zu nationalen und internationalen Konferenzen bekommen und standen im engen Austausch mit den Landesbehörden. Ich hatte daher viele Gelegenheiten, unsere Arbeiten in Vorträgen vorzustellen. Inzwischen haben wir auch viele unserer Ergebnisse in Fachzeitschriften publiziert.
Das Projekt hat sich daher auch für meine weitere Karriere ausgezahlt. Es hat mir eine erfolgreiche Promotion ermöglicht (siehe Foto) und im Mai 2021 habe ich die stellvertretende Leitung des NRLs am BfR übernommen.
Das sind tolle Neuigkeiten. Herzlichen Glückwunsch. Wir freuen uns sehr, dass die Projektförderung hier so tolle Früchte getragen hat – sowohl wissenschaftlich als auch für sie persönlich.
Foto: Dr. Stefanie Lüth promovierte über das Querschnittsprojekt MolTypList der Zoonosenplattform im Mai 2021 an der Freien Universität Berlin mit summa cum laude (https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/30800); Aufnahme: Sarah Graetz, Bundesinstitut für Risikobewertung
Lob an die Zoonosenforschungs-Community
Danke. Ich möchte daher auch noch einmal die Gelegenheit nutzen und mich für die Förderung des Projektes und für die gute Nachwuchsarbeit der Plattform zu bedanken. Zudem war ich sehr positiv überrascht von der tollen Stimmung beim jährlichen Symposium der Zoonosenplattform. Ich habe die Community dort als sehr freundlich und interessiert an unseren Projektergebnissen erlebt. Außerdem war ich begeistert von dem kollegialen Austausch und darüber, dass sich die Forscher*innen dort auf Augenhöhe begegnen, unabhängig von der Karrierestufe. Aus diesem Grund freue ich mich auch auf das Ende der Pandemiebeschränkungen, damit man sich bei Veranstaltungen der Zoonosenplattform wieder persönlich mit den Kollegen*innen treffen kann.
Vielen Dank für die netten Worte, die ich gerne weiterleite. Wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch, Frau Dr. Lüth und hoffen, dass wir Sie im kommenden Jahr einmal wieder persönlich auf einer unserer Veranstaltungen begrüßen können.
Interview: Dr. Dana A. Thal für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen
Im Projekt entstandene Publikationen:
Lüth S, Deneke C, Kleta S, Al Dahouk S. Translatability of WGS typing results can simplify data exchange for surveillance and control of Listeria monocytogenes. Microbial Genomics. 2020; mgen000491.
Halbedel S, Wilking H, Holzer A, Kleta S, Fischer MA, Lüth S, Pietzka A, Huhulescu S, Lachmann R, Krings A, Ruppitsch W, Leclercq A, Kamphausen R, Meincke M, Wagner-Wiening C, Contzen M, Kraemer IB, Al Dahouk S, Allerberger F, Stark K, Flieger A. Large nationwide outbreak of invasive listeriosis associated with blood Sausage, Germany, 2018–2019. Emerging Infectious Diseases. 2020; 26(7):1456-1464.
Lüth S, Halbedel S, Rosner B, Wilking H, Holzer A, Roedel A, Dieckmann R, Vincze S, Prager R, Flieger A, Al Dahouk S, Kleta S. Backtracking and forward checking of human listeriosis clusters identified a multiclonal outbreak linked to Listeria monocytogenes in meat products of a single producer. Emerging Microbes & Infections. 2020; 9(1): 1600-1608.
Gwida M, Lüth S, El-Ashker M, Zakaria A, El-Gohary F, Elsayed M, Kleta S, Al Dahouk S. Contamination pathways can be traced along the poultry processing chain by whole genome sequencing of Listeria innocua. Microorganisms. 2020; 8(3):414.
Adler M, Lüth S, Kleta S, Al Dahouk S. Draft genome sequence of a Listeria monocytogenes isolate of core genome multilocus sequence typing complex type 2521 from ready-to-eat meat sausage related to an outbreak (Sigma1) in Germany. Microbiology Resource Announcement. 2020; 9(18).
Lüth S, Boone I, Kleta S, Al Dahouk S. Analysis of RASFF notifications on food products contaminated with Listeria monocytogenes reveals options for improvement in the rapid alert system for food and feed. Food Control. 2019; 96:479-487.
Lüth S, Kleta S, Al Dahouk S. Whole genome sequencing as a typing tool for foodborne pathogens like Listeria monocytogenes – The way towards global harmonisation and data exchange. Trends in Food Science & Technology. 2018; 73:67-75.