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Die Bedeutung der Pandemie für Forschungsqualität und Wissenschaftskommunikation

Die Coronavirus-Pandemie betrifft alle Teile der Gesellschaft unabhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht oder soziale Stellung. Vieles in Bezug auf SARS-CoV-2, die Erkrankung COVID-19 und die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaft und Gesellschaft ist noch ungewiss. Dementsprechend ist die Aufmerksamkeit, die momentan der Forschung zuteilwird, immens. Man verspricht sich schnell Erkenntnisse, die bestmöglich und unmittelbar Anwendung in der Praxis finden können. Die Wissenschaft ist bemüht die Nachfrage zu bedienen und arbeitet mit einer enormen Geschwindigkeit. Als Konsequenz wird die Welt täglich mit einer Vielzahl von neuen wissenschaftlichen Veröffentlichungen geflutet. Die Fragen, die sich dabei stellen, sind, in wie weit die Geschwindigkeit zu Lasten guter wissenschaftlicher Praxis geht, wie eine gute Wissenschaftskommunikation zur Überwindung der Krise beitragen kann und welche Lehren aus der aktuellen Situation für das System Wissenschaft gezogen werden können.

Wissenschaftskommunikation im Kontext

                                                                                                      Grafik: D. A. Thal

Von der ersten Hypothese bis zur Veröffentlichung von Ergebnissen ist es in der Wissenschaft meist ein langer Weg. Nachdem kleinschrittig Forschungsfragen formuliert wurden, werden die passenden Studien geplant, Voruntersuchungen angestellt, Anpassungen vorgenommen und Methoden optimiert, ehe die Studie/ das Experiment dann durchgeführt und die Ergebnisse statistisch ausgewertet werden können. Schließlich werden die Daten zusammengetragen, im fachlichen Kontext diskutiert und an ein wissenschaftliches Journal gesendet. Hier wird die Arbeit noch einmal der Prüfung durch unabhängige Fachgutachter unterzogen. Bei diesem sogenannten „peer review“-Verfahren werden häufig noch Nachbesserungen gefordert. Die korrigierte Arbeit kann dann wieder zur Prüfung eingereicht werden und wird dann im besten Fall veröffentlicht. Dieser Prozess kann sich über Monate hinziehen.

Die Qualitätsansprüche an Forschungsarbeiten sollten immer hoch sein, um stabile Fundamente für politische und gesellschaftliche Entscheidungen zu bauen und um zu verhindern, dass wertvolle Ressourcen in die falschen Kanäle fließen. Zudem kann das Vertrauen in die Wissenschaft durch fehlerhafte Studien nachhaltig Schaden nehmen. In einem Artikel im Fachmagazin Science warnen die Autoren davor, die Dringlichkeit von Forschungsergebnissen zu Lasten der Qualität zu bedienen.

 

Gute wissenschaftliche Praxis

Ein wichtiges Qualitätssicherungskriterium sind die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingesetzte Gremium „Ombudsman für die Wissenschaft“ berät vertraulich bei Fragen zur guten wissenschaftlicher Praxis. „Bei guter wissenschaftlicher Praxis geht es in erster Linie um Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz in der gemeinsamen Zusammenarbeit in der Wissenschaft“, erklärt Frau Dr. Czesnick, Leiterin der Geschäftsstelle des Gremiums (zum kompletten Interview mit Dr. Czesnick). Deutschland ist dabei nicht das einzige Land mit solchen Richtlinien für die Wissenschaft. „Es gibt internationale Guidelines zur wissenschaftlichen Integrität, auf die sich die Wissenschaftsgemeinde – auf unterschiedlichen Ebenen – verständigt hat. Es gibt z.B. den European Code of Conduct for Research Integrity (herausgegeben von ALLEA, 2017).  Zahlreiche Länder habe nationale Regeln zur guten wissenschaftlichen Praxis verfasst, die die Gegebenheiten der Wissenschaftslandschaft des jeweiligen Landes berücksichtigen. Dass die Strukturen zur wissenschaftlichen Integrität, wie die Zuständigkeiten nationaler und lokaler „Research Integrity Offices“, von Land zu Land variieren, zeigt sich etwa im europäischen Vergleich bei den Mitgliedern des Netzwerkes ENRIO (das European Network of Research Integrity Offices, www.enrio.eu)“, erklärt Frau Dr. Czesnick. Nichtsdestotrotz arbeiten Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt vor dem Hintergrund international anerkannter Leitlinien.

 

Qualitätsstandards in der Pandemie besonders wichtig

Doch in der aktuellen Pandemie fordern Politik und Gesellschaft schnelle Ergebnisse. Der auf der Wissenschaft lastende Druck ist hoch und hat dazu geführt, dass Prozesse auf allen Ebenen beschleunigt wurden. Dieser Druck spricht die Wissenschaft aber nicht von der Einhaltung der eigenen Qualitätsstandards frei. „Die Regeln wissenschaftlicher Integrität sollten selbstverständlich auch in Krisenzeiten beachtet werden – das ENRIO-Netzwerk hat schon im April 2020 in einem Statement auf europäischer Ebene zur Wahrung der „Research Integrity“ während der Pandemie aufgerufen. Auch die DFG hat auf die Bedeutung wissenschaftlicher Qualitätsstandards gerade in der Pandemie hingewiesen“, sagt Frau Dr. Czesnick. „Das heißt, es sollte weiterhin eine kritische und ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Daten und Ergebnissen wie auch mit den Ergebnissen und Schlussfolgerungen von Kolleg*innen in der Wissenschaft erfolgen. Derartige kritische Diskurse haben wir in den letzten Monaten genauso beobachten können, wie – leider auch – das Zurückziehen von Beiträgen, bei denen Fachkolleg*innen Ungereimtheiten aufgefallen waren. Ob z.B. aufgrund von besonderer Eile gewisse Faktoren übersehen wurden lässt sich im Nachhinein selten klar feststellen. Wir vermuten, dass der dringende Bedarf an zügigen Forschungsergebnissen auch zu Versehen bzw. Fehlern geführt hat, die dann aber durch die Fachgemeinde umgehend aufgedeckt wurden.“ Aber natürlich werden solche Fehltritte von den Medien schnell aufgegriffen.

In der Wissenschaft ist es Teil des Publikationsprozesses, dass Arbeiten anhand der konstruktiven Kritik von Fachkolleg*innen noch einmal überarbeitet werden, bevor sie endgültig veröffentlicht werden. Tatsächlich sind der Begutachtungsprozess und der Diskurs innerhalb der Wissenschaft wichtige Bestandteile des Qualitätssicherungsverfahrens. Frau Czesnick zeigt sich optimistisch, dass diese Kontrollmechanismen auch in der Pandemie funktionieren: „Auch in der Pandemie greifen die bereits etablierten Selbstkorrekturmechanismen der Wissenschaft. Die Fach-Community erkennt Schwächen und Fehler von Forschungsansätzen während des Peer Reviews, aber auch nach der Publikation von Ergebnissen – unabhängig davon, ob es sich bei Publikationen um Preprints oder Postprints handelt.“

 

Verschmelzung interner und externer Wissenschaftskommunikation

Bei Preprints handelt es sich um Daten, die noch vor der Begutachtung durch unabhängige „peers“ veröffentlicht werden. So stehen die Daten Fachkolleg*innen schneller zur Verfügung, aber eben auch der breiten Öffentlichkeit. Und genau daraus kann ein Problem erwachsen. „Wissenschaftler*innen stehen heute immer mit einem Bein in der Öffentlichkeit. Wenn Virolog*innen ein Ergebnis auf einem Preprint-Server hochladen – womit sie den Startschuss für eine innerwissenschaftliche Diskussion abgeben –, dann kann das heute von Journalismus und Öffentlichkeit wahrgenommen, aufgegriffen, diskutiert werden“, erklärt Frau Prof. Leßmöllmann, Professorin für Wissenschaftskommunikation (zum kompletten Interview mit Prof. Leßmöllmann). „Das heißt, innerwissenschaftliche Kommunikation auf digitalen Plattformen, oder Lehre, die auf YouTube hochgeladen wird, etc. – landen ganz schnell in der externen Wissenschaftskommunikation. Die Sphären sind nicht mehr strikt getrennt. Und so kann ein alltäglicher interner Diskurs in der Wissenschaft schnell öffentlich diskutiert oder auch kritisiert werden, was durchaus konstruktiv und auch interessant für die beteiligten Forscher*innen sein kann. Er kann aber auch manipulativ in eine Art „Schlammschlacht der Wissenschaft“ umgedeutet werden, was für die Wissenschaftskommunikation kontraproduktiv ist.“

 

Erklären wie Forschung funktioniert

Wissensgewinnung ist ein dynamischer Prozess, wobei neue Forschungsergebnisse stetig das Gesamtbild verändern. Zudem ist „die Wissenschaft“ extrem facettenreich und demnach auch vielstimmig. Diese Eigenschaft steht im Kontrast zu den Wünschen aus Gesellschaft und Politik, wie Aussagen des Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens Armin Laschet in der ARD-Talkshow "Anne Will" zeigten. Herr Laschet kritisierte dort, dass Virologen "alle paar Tage ihre Meinung ändern" würden. Seiner Meinung nach müssten die Virologen auch mal eindeutige Aussagen treffen. Leider funktioniert Wissenschaft nicht auf diese Weise. „Wissenschaft ist keine Wahrsagebox, in die man eine Münze reinwirft, und unten kommt die Antwort raus. Sondern sie ist ein sehr komplexes Gebilde, aus der sich mit der Zeit einige Ergebnisse herausarbeiten lassen, die dann auch nutzbar sind“, so Prof. Leßmöllmann.

Zu verdeutlichen, wie die Forschung arbeitet, sei ebenfalls ein wichtiges Ziel der Wissenschaftskommunikation: „[es] muss klar sein, dass die Wissenschaft sehr viel Unwissen oder Unsicherheit produziert, das ist ihr Job. Sie ist keine Faktenmaschine, sondern erzeugt Erkenntnisse, die sich über eine lange Prüfphase zu Fakten formen lassen, die dann in Lehrbüchern stehen. In Zeiten der wissenschaftlichen Unsicherheit – Stichwort Corona – kann die Wissenschaft also häufig nicht die harte Faktenbasis liefern, die sich z.B. die Politik wünscht. Das zu verstehen, zu akzeptieren und vor allem, damit umzugehen, ist ein ganz wichtiger Gegenstand, aber auch ein Ziel der Wissenschaftskommunikation. Es geht also nicht nur darum, verständlich zu erklären, was ein Virus ist. Es geht um viel mehr. Es geht um einen Dialog mit allen potentiellen gesellschaftlichen Adressat*innen darüber, wie Wissenschaft arbeitet und wie sie zu einer guten Grundlage für Orientierungswissen in dieser komplexen Welt wird.“

 

Wissenschaft und Politik

Der Unterschied der Systeme sei jedoch kein Hindernis für eine konstruktive Zusammenarbeit von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik, sagt Prof. Leßmöllmann: „Anstatt darüber zu lamentieren, sollten wir das offensiv angehen, über die wissenschaftlichen Ergebnisse diskutieren und unsere Schlussfolgerungs- und Entscheidungsmuskel trainieren - sowohl im Alltag als auch in der Politik - anstelle zu jammern, dass die Wissenschaft keine Fakten liefert.“

Allerdings sei es wichtig, dass die Forschung weiterhin unabhängig von politischen Sichtweisen agieren kann. „[…] die Forschung muss frei sein, um Ergebnisse zu produzieren, die vielleicht [einer] politischen Richtung entgegenstehen. Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft kann leiden, wenn sie interessensgeleitet agiert,“ so Prof. Leßmöllmann. Was passiert, wenn die Wissenschaft sich den Wünschen der Politik unterordnet, zeigte die „Heinsberg-Studie“. Erste Zwischenergebnisse der Studie wurden unüblicher Weise bereits vor Abschluss der Studie medienwirksam auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben und von der Politik als Entscheidungsgrundlage herangezogen. Aus wissenschaftlicher Sicht aber macht die Veröffentlichung unfertiger Arbeiten keinen Sinn, insbesondere, wenn dies ohne die zugrundeliegenden Daten geschieht.

 

Gute Wissenschaftskommunikation als Schlüssel

Trotz aller Stolpersteine, welche die Wissenschaftskommunikation mit sich bringt, ist klar, dass die Wissenschaft ihrer demokratischen Pflicht, der Öffentlichkeit neue Daten und Erkenntnisse zu präsentieren, weiterhin nachkommen wird – zumal die Forschung zu einem großen Teil durch öffentliche Gelder finanziert wird.  Dies gilt besonders in Krisenzeiten. An dieser Stelle ist es wichtig sich zu verdeutlichen, dass, obwohl die Qualität in Forschung und Kommunikation an einigen Stellen unter der hohen Geschwindigkeit leidet, die bisher erbrachte SARS-CoV-2 Forschung immens ist. Innerhalb kürzester Zeit konnten der neue Erreger identifiziert und eine Diagnostik etabliert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich bereits mehrere Impfstoffe und Therapeutika gegen COVID-19 in der klinischen Erprobung. Das sind in Anbetracht der kurzen Zeit enorme Leistungen.

Um diese Erfolge ausbauen zu können, ist es weiterhin essentiell, dass die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis eingehalten werden und im Austausch mit den vielen Teilöffentlichkeiten eine adäquate Wissenschaftskommunikation betrieben wird.

„Wie wichtig und hilfreich es sein kann, wenn Forschende Fähigkeiten im Bereich der Wissenschaftskommunikation besitzen, hat sich während der Pandemie ganz besonders gezeigt“, sagt Frau Dr. Czesnick. Um diese Kompetenzen weiter auszubauen, könnte man bereits in der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftler*innen „deutlich nachlegen“, so Frau Prof. Leßmöllmann.

 

Lehren aus der Pandemie

Auch vor der Pandemie existierten bereits „problematischen Aspekte des Wissenschaftssystems“, wie Dr. Czesnick erörtert. Allerdings traten diese teilweise, mit der Pandemie als Lupe fungierend, stärker in den Vordergrund. Mögliche Lehren aus der Pandemie könnten daher auch helfen das Wissenschaftssystem allgemein weiter zu optimieren. Neben der Einhaltung von einheitlichen Qualitätsstandards und der Sensibilisierung von Wissenschaftler*innen für die Wichtigkeit einer guten Wissenschaftskommunikation betrifft dies zudem die Stärkung der internationalen interdisziplinären Zusammenarbeit, die Etablierung nachhaltiger Strukturen in der Wissenschaft, die in Krisenzeiten schnell aktiviert werden können, und das Überdenken des wissenschaftlichen Publikationswesens (freie Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Arbeiten, Beschleunigung des wissenschaftlichen Austausches).

Im Wissenschaftsbarometer im Mai 2020 in Deutschland gaben 66 Prozent der Befragten an, in Wissenschaft und Forschung zu vertrauen (Abb. 1). Dieses hohe Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft zeigt, dass in der Forschung und in der Wissenschaftskommunikation bereits vieles gut und richtig läuft. Es stimmt optimistisch, dass schwarze Schafe, auch in Zeiten erhöhter öffentlicher Aufmerksamkeit, die Integrität der Forschung nicht untergraben können und dass am Ende hoffentlich solide Daten als Lösungsgrundlage für Probleme der Gesellschaft durch gute wissenschaftliche Praxis generiert werden können.

Ergebnisse Wissenschaftsbarometer

Abb. 1: Quelle: Wissenschaftsbarometer - Wissenschaft im Dialog/Kantar, CC BY-ND 4.0; jeweils mindestens 1000 Befragte | Angaben in Prozent – Rundungsdifferenzen möglich; Daten 2017, 2018, 2019 jeweils im Sommer erhoben

Text: Dr. Dana A. Thal i. A. für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen

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