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NL8 2022 - Artikel 1

Martin Eiden; © Wolfram Maginot
Cora Holicki; © privat

„Es wäre möglich, dass wir das West-Nil-Virus in Wildschweinen feststellen, noch bevor wir es beim Menschen entdecken.“

Dr. Martin Eiden und Dr. Cora Holicki forschen am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Ostsee-Insel Riems. Für das Vernetzungsprojekt EPISODE beschäftigen Sie sich mit West-Nil-Virus-Infektionen bei Hunden, Schafen und Wildschweinen – um Risikogebiete und Cluster zu definieren und so letztlich das Infektionsrisiko für Menschen besser einschätzen zu können.

Herr Eiden, Frau Holicki, Sie beschäftigen sich mit dem Expositionsrisiko des West-Nil-Virus etwa in Hunden. Warum ist das für Menschen relevant?

Cora Holicki: Zurzeit wird die Ausbreitung des West-Nil-Virus (WNV), das zur Gruppe der Flaviviren gehört, in Deutschland vor allem über ein Wildvogelmonitoring ermittelt, das gute Hinweise für Infektionen mit dem WNV liefert. Da WNV ein Arbovirus ist und über Stechmücken übertragen wird, liefern auch Surveillance-Studien zu Stechmücken wichtige Informationen. Um aber ein Gesamtbild über das Infektionsgeschehen zu erhalten, entstand die Idee, weitere Spezies zu untersuchen, darunter Wildschweine und Hunde. Bei beiden Arten hat man leichteren Zugang zu Proben im Vergleich zu Wildvögeln und zudem gewinnt man größere Probenvolumina. Hunde werden regelmäßig bei Tierärzten vorgestellt und es werden von ihnen Blutproben genommen. Aufgrund der afrikanischen Schweinepest-Situation in Deutschland werden geschossene Wildschweine ebenfalls regelmäßig beprobt. Alle diese Proben werden an Privatlabors und die öffentlichen Landesuntersuchungsämter gesandt, die uns dann ihrerseits Aliquots für die WNV-Untersuchungen zur Verfügung stellten. Die in den Tieren detektierten Antikörper gegen das WNV, sind dann der Indikator für eine Infektion. Die Fragestellung dieser Studie war daher: Kann man diesen Ansatz nutzen, um Risikogebiete und Hotspots für die Infektion mit dem WNV zu identifizieren, bevor erste Fälle beim Menschen auftreten?

Kann man?

Martin Eiden: Das wird im Moment noch untersucht. Wir haben zum einen Hunde ausgewählt, weil sie in engem Kontakt mit Menschen leben und man weiß, dass sie sich mit dem WNV anstecken können. Zum anderen wurden Wildschweine ausgewählt, da sie verschiedene Habitate abdecken, also Wald, Ackerflächen und Grünflächen. Die Blutproben der Tiere wurden daher in einem ersten Schritt serologisch auf Antikörper gegen Flaviviren getestet. Flaviviren stellen eine große, weltweit vorkommende Virusfamilie dar, die viele humanpathogene Erreger beinhaltet, darunter auch das WNV. Daher müssen alle diese Ergebnisse noch auf die spezifischen Flaviviren differenziert werden, d.h. WNV-Antikörper müssen von kreuzreagierenden Antikörpern anderer Flaviviren, wie dem nahverwandten Usutu-Virus (USUV) oder dem von Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis- (FSME) Virus unterschieden werden. Beide Erreger kommen ebenfalls in Deutschland vor.

Bislang fanden wir Flavivirus-Antikörper bei etwa zwölf Prozent der Hunde. Bei Wildschweinen sehen wir sogar eine sehr hohe Prävalenz, die zwischen dreißig und fünfzig Prozent liegt.

Sie sagten, dass die Prävalenz bei Hunden bei etwa zwölf Prozent liegt? Ist das viel oder wenig?

Martin Eiden: In den USA lag die spezifische WNV-Antikörper-Prävalenz bei den Hunden je nach Studiendesign zwischen fünf bis 70 Prozent. Die genaue Zahl der spezifisch mit WNV infizierten Tiere muss bei uns noch ermittelt werden. Wir müssen in unseren Proben noch untersuchen, wo genau die Hunde mit WNV-Antikörpern leben. Welche Ökosysteme gibt es dort? Wie eng ist der Kontakt mit den Menschen? Gibt es in den Haushalten oder der Umgebung Hinweise auf WNV-Infektionen?

Gab es zuvor bereits Daten diesbezüglich?

Martin Eiden: Wir führen dazu die ersten Untersuchungen in Deutschland durch. In anderen europäischen Ländern, z.B. Frankreich, Spanien und Italien gab es erste ähnliche Studien zumindest mit Wildschweinen.

Wo genau haben Sie die Daten erhoben?

Martin Eiden: Was die Wildschweine angeht, haben wir uns auf zwei Bundesländer beschränkt: Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das sind die Bundesländer, in denen sehr viele WNV-Infektionen bei Vögeln und Pferden gefunden wurden. Wir wollen nun die Daten aus dem Wildvogelmonitoring und mit denen bei den Wildschweinen vergleichen. Konkret schauen wir, ob es regionale Unterschiede in den Wildschweinen gibt, unter anderem um auch das Ergebnis der Vogelbefunde zu reproduzieren: gibt es in den Regionen, mit vielen erkrankten oder toten Vögeln auch hohe WNV-Inzidenzen bei Wildschweinen? In Regionen, in denen keine infizierten Vögel gefunden worden sind, müssten entsprechend auch die Inzidenzen unter Wildschweinen niedrig sein. Aber das wird im Augenblick bei uns erst aufgeschlüsselt.

Sind Sachsen und Sachsen-Anhalt einfach besser untersucht oder gibt es einen bestimmten Grund, warum dort die Prävalenz besonders hoch ist?

Cora Holicki: WNV-Ausbrüche sind seit 2018 vor allem in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt aufgetreten - sowohl bei Vögeln als auch vereinzelt bei Menschen. Neu dazu kamen jetzt die Bundesländer Thüringen und der östliche Teil von Niedersachsen. Der Hitzesommer 2018 begünstigte das Auftreten und die Etablierung von WNV in Deutschland. Die Bedingungen für die Übertragung über Stechmücken waren besonders gut. Seitdem kursiert das WNV vor allem in mittleren Regionen Ostdeutschlands.

Und was bedeutet das für Menschen? Kann man schon erste Schlussfolgerungen ziehen?

Martin Eiden:

Wildschweine sind an verschiedene Lebensräume angepasst und doch mit einem Umkreis von maximal fünf Kilometern relativ standorttreu. Dadurch ließe sich das Expositionsrisiko auch für den Menschen ziemlich genau bis hinunter auf Landkreisgröße bestimmen.

Wir müssen diese Daten noch mit den humanen Fällen abgleichen und dann schauen, ob Infektionen bei den Wildschweinen in den gleichen Regionen stattgefunden haben und ob es Zusammenhänge gibt.

Bei Hunden ist das komplizierter. Sie sind als Begleiter des Menschen meist mobiler, dies muss bei der Auswertung mitberücksichtigt werden.

Erwarten Sie denn, dass es Zusammenhänge gibt?

Martin Eiden: Wir sehen auf jeden Fall, dass Hunde auch mit WNV infiziert wurden und eine spezifische Antikörper-Antwort ausgebildet haben. Das ist schon mal eine wichtige Information. Ob es da aber einen epidemiologischen Zusammenhang gibt, müssen die vollständigen Analysen zeigen. Wir untersuchen neben Wildschweinen und Hunden auch kleine Wiederkäuer, also Schafe und Ziegen. Dabei stellen wir bislang fest, dass die Flavivirus-Antikörperprävalenz sehr viel niedriger ist als bei Wildschweinen. Sie liegt bislang bei maximal fünf Prozent. Schafe und Ziegen stehen auf den Weiden und sind ebenfalls den Stechmücken ausgesetzt, die WNV in sich tragen können.

Woran kann das liegen, dass kleine Wiederkäuer eine sehr viel geringere Infektionsquote haben?

Martin Eiden: Entweder sind sie nicht oder weniger empfänglich für Flaviviren oder die WNV-übertragenden Stechmücken bevorzugen Wildschweine und Vögel. Daraus kann man zumindest schon herleiten, dass Wildschweine bessere Informationen liefern, wenn wir uns mit Flaviviren und speziell mit dem WNV beschäftigen und eine Risikoanalyse machen.

Vögel sind der Reservoir-Wirt des WNV. Sind Wildschweine dann nicht ein Dead-End-Host? Oder können Wildschweine das Virus dann wieder zurück übertragen an die Stechmücken?

Cora Holicki: Das können sie wahrscheinlich nicht. Wir finden aber hohe Seroprävalenzen und teilweise sehr hohe Antikörpertiter. Sie könnten gut als Sentinel-Tiere in weiteren Regionen Deutschlands eingesetzt werden, insbesondere in Gebieten, in denen es nur wenige Daten aus Stechmücken- und Wildvogeluntersuchungen gibt. Es gibt, wie gesagt, über das Routine-Monitoring der Landesuntersuchungsämter einen unkomplizierten Zugang zu Wildschwein-Proben.

Wir untersuchen die Blutproben auch auf virale RNA, um eine mögliche akute Infektion mit einer Virämie nachweisen zu können. Bislang haben wir nur Antikörper gefunden und keine WNV-spezifische RNA. Das vorläufige Ergebnis ist also, dass die Tiere nach einer WNV-Infektion nicht oder nur für sehr kurze Zeit virämisch sind. Aber wie gesagt: Das ist ein vorläufiger Befund und kann sich noch ändern.

Und bis wann erwarten Sie endgültige Ergebnisse?

Martin Eiden: Das Projekt endet im Januar 2023. Ende des Jahres werden wir die Daten analysiert haben. Wichtig ist, dass wir eines von 7 Teilprojekten im Rahmen eines vom BMBF geförderten Vernetzungsprojekts zur Epidemiologie und Prävention der West-Nil-Virusinfektionen in Deutschland (Projektname: „EPISODE“) bearbeiten. Ein zentraler Punkt des Gesamtprojekts ist dabei die Verknüpfung der Daten mit den Ergebnissen der Projektpartner um im Rahmen eines One Health-Ansatzes das Zusammenspiel von Mensch, Tier und Umwelt im Hinblick auf die Ausbreitung des Virus zu analysieren. Konkret heißt das, dass im Gesamtprojekt zusätzlich zu unseren Untersuchungen Surveillance-Studien bei Pferden und auch beim Menschen durchgeführt werden. In den anderen Teilprojekten steht die Prävention und insbesondere die Stechmücken-Bekämpfung im Vordergrund.

Erwarten Sie im Zuge der Klimaerwärmung eine Zunahme von infizierten Stechmücken?

Cora Holicki: Wir nehmen stark an, dass das passiert. Ziel ist es, aus den Daten des Wildschwein- und Wildvogel-Monitoring Risikogebiete für WNV-Infektionen beim Menschen definieren zu können. 

Ist es nicht zu erwarten, dass ganz Deutschland ein Risikogebiet wird, wenn es immer wärmer wird?

Martin Eiden: Das ist tatsächlich zu erwarten. Trotzdem ist es wichtig, den jeweils in den Gemeinden, Kreisen und Bundesländern tatsächlich sich entwickelnden Infektionsdruck für den Menschen zu bestimmen. Das Infektionsrisiko wird nicht überall gleich hoch sein.

Cora Holicki: Interessanterweise breitet sich das Virus gar nicht so schnell aus, wie wir es erwartet hatten. In den USA hat sich das West-Nil-Virus innerhalb von vier Jahren von der Ost- an die Westküste ausgebreitet. In Deutschland dagegen lässt es sich bisher überwiegend im Osten nachweisen. Wir sehen zwar eine westliche Ausbreitung, Richtung Niedersachsen, aber das geht nicht so schnell, dass man sagen könnte, dass bald ganz Deutschland betroffen sein wird. Natürlich werden steigende Temperaturen aber für eine Vermehrung der Stechmücken sorgen und damit die Bedingungen für die Virusinfektion begünstigen.

Was stehen konkret für nächste Schritte an?

Martin Eiden: Die Aufschlüsselung der virusspezifischen Antikörper ist das Wichtigste, was wir in den nächsten Monaten machen müssen. Die weiteren serologischen Untersuchungen sollen dann vor allem Prävalenzen von WNV, USUV und FSME-spezifischen Antikörpern bestimmen. Mit diesen Daten können wir dann sehen, ob es in verschiedenen Landkreisen statistisch signifikante Unterschiede in der Antikörper-Prävalenz in den Wildschweinen gibt und welche Ergebnisse wir bei den Hunden finden. Es wäre schön, wenn wir diese Antikörper-Prävalenz Risikogebieten zuordnen könnten. Dann könnte man perspektivisch routinemäßig Wildschweine beproben und hätte eine gute Aussagekraft über zukünftige Risikogebiete.

Das Gespräch führte Philipp Kohlhöfer.